„Der Bomber der Nation“ Gerd Müller wird 70.

Gerd Müller „Der Bomber der Nation“ feiert heute seinen 70. Geburtstag.
Mit 365 Treffern in 427 Partien ist er nach wie vor Rekordtorschütze der Bundesliga. Außerdem gelang es dem gebürtigen Nördlinger aus Schwaben in der Saison 1971/72 als bislang einzigem Profi, 40 Tore in einer Liga-Spielzeit zu erzielen. Seine 68 Länderspieltore wurden erst 2014 von Miroslav Klose übertroffen. Gerd Müller ist ohne Zweifel eine Fussball-Legende und der größte Torjäger aller Zeiten.

BEISPIELLOSE KARRIERE BEIM FC BAYERN

Tschik Cajkovski war außer sich. Als der Trainer des Regionalligisten im Juli 1964 Gerd Müller erstmals sieht, faucht er Bayern-Mitglied Peter Sorg an: „Hast Du Sohn mitgebracht? Ist er Ringer!“ Der Torjäger aus Nördlingen wirkt in der Tat nicht gerade wie ein Leistungssportler. Auf seine 176 Zentimeter verteilen sich rund 90 Kilo.

Das erste Müller-Tor

„Bauch und Oberschenkel waren eins“, erinnerte sich Dieter Brenninger, Linksaußen der Aufstiegsmannschaft noch 50 Jahre später amüsiert. Als sich Müller in einem Vorbereitungsspiel auch noch die Hand bricht, während die Kameraden von Sieg zu Sieg eilen, scheint schon vor dem Anfang alles zu Ende zu sein. Cajkovski sieht keinen Grund, den 18-Jährigen aufzustellen und Müller keinen, zu bleiben. Freunde berichten, er habe schon nach wenigen Wochen „wieder heim gewollt“. Doch es kommt anders. Dermaßen anders, dass beide Seiten nie mehr auseinander gehen wollen.

Auf Intervention von Präsident Wilhelm Neudecker stellt Cajkovski Müller am 18. Oktober 1964 in Freiburg endlich auf und an diesem Tag fällt es, das erste von 398 Müller-Toren in Punktspielen für die 1. Mannschaft seines FC Bayern München. Alle Wettbewerbe zusammengenommen, wird es eine vierstellige Zahl, auf die sich die Statistiker bis heute nicht einigen können. In einem vom Verein 2010 herausgegebenen Buch ist von 1335 die Rede, eine andere Version verkündet 1289.

Dass der Gegner an diesem Tag nur Kanonenfutter ist und der Torwart einen Hexenschuss hat, ist nur eine Petitesse. Denn auch die weit schwereren Prüfungen nach dem 11:2, an dem sich Müller nur mit einem Tor beteiligt, besteht der kommende „Bomber der Nation“.

Auf den höchsten Fußball-Gipfeln

Müller wird bis zum Karriere-Ende bei seinen Bayern in den folgenden 15 Jahren nie bei einem Pflichtspiel auf der Bank sitzen, kein Trainer übersieht seine phänomenalen Fähigkeiten. Reaktionsschnell, quirlig, beidfüßig, immer auf der Lauer und mit kurzen, aber stämmigen Oberschenkeln gesegnet, mit denen er sich im dicksten Getümmel immer noch einen Freiraum verschafft. Das, was Orthopäden „einen niedrigen Körperschwerpunkt“ nennen, führt ihn auf die höchsten Fußball-Gipfel.

Zum Aufstieg der Bayern trägt er schon in seinem ersten Jahr im rot-weißen Dress, noch mit Rückennummer acht und als „Halbstürmer“ agierend, 33 Tore bei. Mittelstürmer Rainer Ohlhauser schießt noch mehr – 42. Es wird bis zu seiner letzten Saison das einzige Mal bleiben, dass Müller nicht auch vereinsintern der Torschützenkönig ist. Im ersten Bundesliga-Jahr spielt der Aufsteiger mit den kommenden Weltstars Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller bis zum vorletzten Spieltag um die Meisterschaft mit und gewinnt den DFB-Pokal. Großes kündigt sich an.

1966/67 gewinnen sie noch vor der ersten Meisterschaft in der Bundesliga einen Europapokal, den der Pokalsieger. Den nationalen Pokal verteidigen sie, ohne Müller-Tore wären sie kaum in eines der Finals gekommen. Am Ende der Saison ist Müller erstmals Torschützenkönig, gemeinsam mit Dortmunds Lothar Emmerich (je 28). Und er wird Fußballer des Jahres, erbt die Trophäe von Vorjahres-Sieger Beckenbauer.

Seit 45 Jahren Rekord-Torjäger

1967/68 gewinnt Bayern München nichts, was einen Trainerwechsel zur Folge hat. Branko Zebec löst seinen Landsmann Cajkovski ab und führt harte Sitten ein. Müller ist ihm zu pummelig, im Training muss der „Bomber“ unter der Jacke zwei Trikots tragen – im Sommer. Sechs Kilo verliert er unter Zebec, dafür gewinnt er 1968/69 fast alles, was es zu gewinnen gibt. Das Double mit den Bayern – und das persönliche Double als Fußballer des Jahres und Torschützenkönig.

Auch sein erster Karriere-Platzverweis im Dezember 1968 nach einer Tätlichkeit an Jupp Heynckes, der ihm eine Sperre über acht Wochen einbringt, kann das nicht verhindern. Kaum zurück, erzielt er am 24. Februar 1970 sein 116. Bundesliga-Tor und löst Lothar Emmerich, obgleich der zwei Jahre länger spielte, als Rekord-Torjäger der Bundesliga ab. Seit 45 Jahren darf er sich so nennen lassen, niemand ist ihm je gefährlich geworden. Bis heute.

Nun beginnen sie, die Goldenen Siebziger. 1970 wird Müller erneut Torschützenkönig, mit der neuen Rekord-Zahl von 38 Treffern. 1970/71 hat er ein schwächeres Jahr, 22 Treffer sind kein beeindruckender Müller-Wert. Eine Erklärung ist die Posse um seinen dubiosen Platzverweis in einem Freundschaftsspiel im Januar in Peru; die Debatte über seine mögliche Sperre belastet ihn.

200-Tore-Marke in der Bundesliga

Zwei Spiele vor Saisonschluss erst, also vier Monate später, zieht ihn der DFB aus dem Verkehr. Wohl auch deshalb verspielen die Bayern am letzten Spieltag noch die Meisterschaft. Im Pokalfinale gegen Köln ist er wieder dabei, und mit Müller gewinnt Bayern den Pott schon zum vierten Mal. Es wird das letzte Mal sein in der Ära der Achse Maier-Beckenbauer-Müller, fortan konzentrieren sie sich auf die ganz großen Titel.

1971/72 wird der FC Bayern mit der neuen Rekord-Zahl von 101 Toren Meister, Müller glücken davon allein 40. Unerreicht bleibt auch das 11:1 gegen Borussia Dortmund am 27. 11. 1971, zu dem Müller vier Tore beisteuert. Alles Rekorde, an denen womöglich erst die Bayern von heute um ihre Topscorer Robert Lewandowski und Thomas Müller wieder etwas rütteln könnten. Noch aber halten sie. Im Oktober 1972 passiert er als erster Mensch die 200-Tore-Marke in der Bundesliga, und der Kicker kommentiert: „Wahrscheinlich wird Gerd Müller eher sein 300. Tor geschossen haben als ein Verfolger das 200. Tor.“

1973 und 1974 verteidigen sie die Schale, als erster Club im deutschen Fußball glückt ihnen der „Hattrick“. Und Müller glückt sein Kanonen-Hattrick. 1973 sind es 36 Tore, 1974 reichen 30, wieder mal muss er den Ruhm teilen – nun mit Gladbachs Heynckes. Während der Hattrick-Jahre wäre er den Bayern fast verloren gegangen, 1972 wirbt Feyenoord Rotterdam um ihn, 1973 der FC Barcelona. Im ersten Fall verhindert ein neuer, besser dotierter Vertrag den Wechsel, im zweiten das Veto des DFB, der im WM-Jahr keinem Nationalspieler den Wechsel ins Ausland gestattet. Müller entgeht eine Millionen-Gage, bei Bayern verdient er in der Spitze 450.000 DM.

In München hagelt es Titel

Genug ist es alle Mann, „ich kann ja eh net in elf Zimmern gleichzeitig wohnen und nur ein Schnitzel am Tag essen.“ Pragmatismus eines bodenständigen Weber-Lehrlings. Außerdem: In München hagelt es weiterhin Titel. Meister wird er nach 1974 zwar nicht mehr, aber trotz mittelmäßiger Bundesliga-Jahre glückt den Bayern das Kunststück, den 1974 erstmals gewonnen Landesmeister-Pokal noch zweimal zu verteidigen. So eilen sie von Hattrick zu Hattrick, auch wenn zwischendurch der Anführer wechselt.

Für den 1970 gekommenen Udo Lattek regiert ab Januar 1975 Dettmar Cramer. Er führt sie ins Finale gegen Leeds United, das entscheidende 2:0 markiert Müller. 1976 wird er im Halbfinale nach einem 1:1 bei Real Madrid von einem Teenager niedergeschlagen, weil er ja das Tor erzielt hatte. Im Rückspiel (2:0) antwortet er in seiner Lieblingssprache – Tore.

Eine Bandscheiben-Operation läutet im Januar 1977 sein Ende als Bayern-Profi ein. Auch Cramers Nachfolger Gyula Lorant kann noch nicht auf ihn verzichten und sieht sich bestätigt, als Müller selbst in der Krisen-Saison 1977/78 ein letztes Mal Torschützenkönig wird (24 Treffer). Aber es fällt ihm zunehmend schwer mitzuhalten. Konditionell, läuferisch und auch spielerisch. Die Stimmen mehren sich, dass Müller ein Spieler von gestern sei.

427 Spiele und 365 Tore

Als Lorant im Dezember 1978 über eine Revolte stürzt, sagt dies auch sein neuer Trainer: Pal Csernai. Der Einzige, unter dem Müller kein Tor schießt. Doch die Zusammenarbeit zwischen Trainer und Kapitän, was Müller seit Beckenbauers Wechsel in die USA 1977 keineswegs gern ist, währt auch nur zehn Wochen. Als Csernai es wagt, Müller erstmals in dessen Karriere aus sportlichen Gründen am 3. Februar 1979 in Frankfurt auszuwechseln, ist das Tischtuch zerschnitten.

Einmal darf er noch in der Bundesliga auflaufen, dann, am 10. Februar 1979, bleibt der Zähler stehen: bei 427 Spielen und 365 Toren. Gerd Müller geht damals im Groll, doch der wird sich legen. Nach seiner Rückkehr aus den USA findet er wieder in die Arme der Bayern-Familie zurück, die ihn aus großen privaten Schwierigkeiten befreit. Sie wissen, warum. „Ohne den Gerd würden wir uns doch heut noch im Holzhäusl umziehen“, sagt der Kaiser – und dem widerspricht man nicht.

Als Gerd Müller im Jahr 2003 von der DFL als „wertvollster Spieler der Bundesliga-Geschichte“ geehrt wird, widerspricht auch niemand. Argumente dafür hat er schließlich im Trikot des FC Bayern genug geliefert.

Von Udo Muras (Autor der Biografie „Gerd Müller – Der Bomber der Nation“)

Quelle bundesliga.de